25. Januar 2023

Buchkritik: „Judith und Hamnet“ von Maggie O’Farrell

„Judith und Hamnet“ von Maggie O'Farrell

„Judith und Hamnet“: Wie Shakespeare zu seinem Stück „Hamlet“ fand

Das Buch „Judith und Hamnet“ entdecke ich zufällig. Es ist Schauspielerin Tanya Reynolds, die es in einer ihrer Instagram-Stories präsentiert. „Women’s Prize for Fiction“ lese ich auf dem Cover. Da die Sex-Education-Darstellerin schon mehrmals Romane empfohlen hat, die ich toll finde, möchte ich mehr wissen. Ich klicke mich durchs Netz, suche nach Informationen zu „Judith und Hamnet“ und weiß schnell: Das möchte ich lesen.

Um was geht es in „Judith und Hamnet“?

Der Roman von Maggie O’Farrell war ein halbes Jahr in den „Top 10“ der Sunday Times und gehörte zu den fünf besten Romanen des Jahres 2020 der New-York-Times Bestseller-Listen. Das Besondere an ihm: Er erzählt die Geschichte von William Shakespeares Familie. Aber nicht aus der Perspektive des berühmten Vaters.

Im Fokus stehen stattdessen seine Frau Agnes, beziehungsweise Anne Hathaway wie sie vollständig heißt, und die Zwillinge Judith und Hamnet, die Ende des 16. Jahrhunderts elf Jahre alt sind. Das tragische Schicksal von Hamnet bringt der Dramatiker wenige Jahre später auf die Bühne in London: als sein berühmtes Theaterstück „Hamlet“.

Wer war Hamnet? Das erzählt Maggie O’Farell den Lesenden in einer unglaublich pulsierenden Sprache. So detailliert beschreibt sie die Atmosphäre auf den Straßen von Stratford und rund um das Haus, in dem die Shakespeares wohnen, dass Geräusche und Gerüche lebendig werden.

Hamnet läuft zurück. Die Welt kommt ihm mit einem Mal greller vor, die Menschen lauter, die Straßen länger. Der Himmel ist von einem flirrenden, stechenden Blau. Das Pferd steht noch vor seinem Karren, der Hund liegt jetzt zusammengerollt in einem Eingang. Bubonen, denkt er wieder. Er hat das Wort schon einmal gehört. Er weiß, was es bezeichnet, was es bedeutet.

Die Pest ist da

Hamnets Zwillingschwester erkrankt an einem Nachmittag beim Spielen mit den Katzenbabys plötzlich. Sie fühlt sich schwach und fiebrig. Die schlimmsten Vermutungen werden wahr: Es ist die Pest, die 1596 wieder in England wütet. Da ihre Mutter gerade eine Meile entfernt bei ihren Bienen ist und ihr Vater zwei Tagesreisen entfernt in London seine Stücke schreibt, läuft Hamnet selbst zum Arzt.

Er versucht verzweifelt seiner Schwester zu helfen – und liegt wenige Stunden später selbst mit Beulen im Bett. Während sich Judith erholt, verschlechtert sich der Zustand Hamnets immer mehr.

Umgang mit Trauer

Der historische Roman besteht aus zwei Teilen. Im ersten wechseln die Perspektiven zwischen den dramatischen Pest-Ereignissen im Jahr 1596 und den ersten Begegnungen von Agnes und ihrem späteren Ehemann William Shakespeare im Jahr 1582.

Der zweite Teil des Buchs handelt von der tiefen Trauer, die der Tod Hamnets auslöst. Wie sehr vor allem Agnes und Judith leiden, ist teilweise nur schwer erträglich.

„Wie“ fragt Judith ihre Mutter, „nennt man jemanden der ein Zwilling war, aber dann kein Zwilling mehr ist”.

William Shakespeare hält es bei seiner verzweifelten Familie nicht mehr aus und flieht zu seiner Theaterkompanie in London. Er hat seine eigene Art, mit der Trauer umzugehen – was vor allem für seine Frau eine große Herausforderung ist.

Agnes, eine starke Frau

Maggie O’Farrell widmet in ihrem Buch Agnes sehr viel Raum. Es ist eine besondere Frau. Sie verliert früh ihre Mutter und leidet sehr unter der zweiten Gattin ihres Vaters.

Mit der Natur fühlt sich Agnes dagegen eng verbunden, sie experimentiert mit verschiedenen Pflanzen und lernt dadurch, Krankheiten zu lindern. Sie verlässt sich stets auf ihre Intuition – womit andere Menschen völlig überfordert sind und sie teilweise sogar anfeinden. Wahrscheinlich kommt Agnes dem damaligen Bild einer Kräuterhexe sehr nahe.  

William Shakespeare ist aber sofort fasziniert von ihr, als er sie mit 17 Jahren zum ersten Mal sieht. Er kommt regelmäßig zum Hof, wo sie lebt, da er ihren Brüdern Lateinunterricht gibt. Auf diese Weise muss er die Schulden seines Vaters begleichen, der mit zwielichtigen Geschäften seinen guten Ruf verloren hat.

Auch Agnes fühlt sich zu William hingezogen und gemeinsam schaffen sie es, trotz Widerständen zu heiraten.

Völliges Eintauchen in das Geschehen

„Judith und Hamnet“ überzeugt nicht mit einem überraschenden und spannenden Handlungsstrang. Über die Familie von Shakespeare ist auch gar nicht viel überliefert, sehr wahrscheinlich hat Maggie O’Farrell die wenigen Fakten mit gründlichen Recherchen zur damaligen Zeit und mit ihrer Fantasie aufgefüllt.

Da ihr das aber mit wunderbar lebendiger Sprache und einem großen Feingefühl für ihre Charaktere gelingt, habe ich das Buch sehr gerne gelesen. Ich tauchte völlig ein in das England Ende des 16. Jahrhunderts und litt mit den Figuren.

Vor allem die erste Hälfte des zweiten Teils über die Trauer ist aber eine emotionale Herausforderung. Gleichwohl: Es lohnt sich, das Buch zu Ende zu lesen. Dann wird das Geheimnis um Hamlet gelüftet. Egal ob es der Wahrheit entspricht: Es ist ein wirklich schöner Schluss.

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Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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