24. April 2023

Buchkritik: „Morgen, morgen und wieder morgen“ von Gabrielle Zevin

„Morgen, morgen und wieder morgen“ Gabrielle Zevin

Ein wunderbares Buch über Freundschaft: “Morgen, morgen und wieder morgen“

Ein Buch, in dem Computerspiele und deren Entwickler*innen im Mittelpunkt stehen – solch ein Handlungsgerüst hätte mich normalerweise nie zum Lesen gebracht. Nintendo, Play Station und Co. interessieren mich nicht. Nur im Grundschulalter habe ich mich eine Zeit lang mit Super Mario und Tetris auf dem Game Boy vergnügt. Aber das war’s auch schon. 

Als mir nun eine literaturbegeisterte Bekannte von dem großen Hype um „Morgen, morgen und wieder morgen“ in den USA erzählte, wurde ich aber neugierig. Unter anderem das Time Magazine wählte es zum besten Buch 2022. Ich besorgte mir deshalb den Roman von Gabrielle Zevin – und war trotz des Gaming-Schwerpunktes schnell begeistert. Es ist tatsächlich ein Buch, das sich wunderbar lesen lässt und mich tief in das Geschehen hineinzog. 

Super Mario bringt Sadie und Sam zusammen

Im Mittelpunkt von „Morgen, morgen und wieder morgen“ stehen Sadie und Sam. Beide sind hochbegabt und lieben Computerspiele. Die Handlung beginnt in den 1990er-Jahren, als beide in Cambridge, Massachusetts, studieren. Sam in Harvard und Sadie am MIT. Sie kennen sich seit ihrer Jugend aus einem Krankenhaus in Los Angeles, wo Sam nach einem schweren Autounfall liegt und Sadies Schwester wegen Krebs behandelt wird. Im Spielzimmer beginnen sie, zusammen Super Mario zu spielen, und freunden sich an. 

Jahre später haben sie aber den Kontakt verloren. Durch Zufall treffen sie sich an einer Bahnhaltestelle wieder. Sadie steckt Sam spontan ein selbst programmiertes Computerspiel zu und fragt ihn nach seiner Meinung. Er ist begeistert und schlägt ihr später vor, zusammenzuarbeiten und gemeinsam ein Spiel zu veröffentlichen. Das ist der Beginn von „Ichigo“, einem Computerspiel, mit dem die beiden ihren Durchbruch in der Szene schaffen.

Missverständnisse und Sprachlosigkeit

Trotz des Erfolgs bringt die folgende Zeit aber auch Herausforderungen mit sich. So leidet Sam an einem kranken Bein, das seit einem Autounfall mehrfach operiert werden musste und kaum noch zu retten ist. Außerdem schleppt er Traumata aus seiner Jugend mit sich herum. Seine Mutter war alleinerziehend, deshalb verbrachte er viel Zeit bei seinen koreanischen Großeltern. Das Geld war immer knapp. Mit Frauen tut er sich schwer, mit seinem Körper hadert er.

Mit dem niedlichen, runden Gesicht, den hellen Augen und der Mischung aus weißen und asiatischen Zügen sah Sam fast wie eine Anime-Figur aus, wie AstroBoy oder wie der typische kleine, nervige Bruder aus einem Manga. Sein Kleidungsstil erinnerte an Oliver Twist in seiner Zeit beim Artful Dodger, wäre Oliver Twist aus Südkalifornien und kein Taschendieb, sondern ein kleiner Grasdealer gewesen. (…) Er trug eine billige John-Lennon-Nickelbrille und eine dieser groben längsgestreiften Hanftuniken, wie sie in Mexiko verkauft werden.

Quelle: “Morgen, morgen und wieder morgen”

Halt findet Sam in Studienzeiten vor allem bei seinem Mitbewohner Marx. Einem gut aussehenden Typen, der ihn sowohl emotional als auch finanziell unterstützt. Marx wird zum Produzenten von „Ichigo“ und hilft bei der Vermarktung. 

Das Problem: Auf der Promotion-Tour für „Ichigo“ zeigt der sonst so zurückhaltende Sam ein überraschendes Bühnentalent und zieht viel Aufmerksamkeit auf sich. Sehr zum Missfallen von Sadie. Ihre Kindheit und Jugend verliefen weitaus positiver als die von Sam. Sie stammt aus einer wohlhabenden Familie, ist attraktiv, nun aber ausgerechnet in ihren verheirateten Professor verliebt, der zwar gerne mit ihr schläft, aber trotzdem nicht die Scheidung einreicht und immer wieder Grenzen überschreitet.

Dass Sam plötzlich so viel Aufmerksamkeit für „Ichigo“ bekommt und Sadie als Frau darum kämpfen muss, in der Szene ernst genommen zu werden, frustriert sie. Es kommt zu Missverständnissen in der Freundschaft. 

Die wankelmütige Beziehung zwischen Sadie und Sam trägt den Roman von Gabrielle Zevin. Vor allem die ersten zwei Drittel des Buches sind spannend. Wie gehen die beiden mit den Konflikten in ihrer Freundschaft um? Wozu führt die Sprachlosigkeit?

Zeitsprünge bringen Dynamik

In der zweiten Hälfte des Buches sind zwei Kapitel außerdem aus anderen Perspektiven geschrieben – eines beispielsweise versetzt die Lesenenden in ein Computerspiel, das Sam für Sadie geschrieben hat. So kommt ein wenig Abwechslung in die Handlung. 

Eine gute Konzeption ist auch, dass der Roman in den Zeiten springt. Die Kapitel wechseln sich immer wieder ab zwischen der Entwicklung der Computerspiele in den 1990er- und 2000er-Jahren und Geschehnissen aus der Vergangenheit, die erklären, wie vor allem Sam zu dem Menschen wurde, der er nun als Erwachsener ist. 

Viele kulturelle Bezüge

Auch wenn „Morgen, morgen und wieder morgen“ sehr einfach geschrieben ist, lässt die Autorin einige aktuell diskutierte Themen mit einfließen – wie kulturelle Aneignung, Feminismus und Rassismus. Aber eher immer wieder am Rande und ohne in die Tiefe zu gehen. Auch an popkulturellen Referenzen mangelt es nicht. 

Der Titel des Buches leitet sich übrigens ab von einer Rede Shakespeares, den Marx besonders schätzt, zitiert und daraus für ihre Arbeit ableitet:

„Was ist ein Spiel“, fragte Marx. „Es ist morgen, morgen und wieder morgen. Die Möglichkeiten einer unendlichen Wiedergeburt und unendlichen Erlösung. Die Vorstellung, dass du, solange du weiterspielst, gewinnen kannst. Kein Verlust ist von Dauer, denn nichts ist von Dauer, niemals.”

Quelle: „Morgen, morgen und wieder morgen“

Der Autor John Green schreibt, dass „Morgen, morgen und wieder morgen“ eines der besten Bücher ist, die er je gelesen hat. Ich teile diese Euphorie nicht in dieser Superlativen, aber auch mir hat der Roman sehr gut gefallen. Er ist intelligente und kurzweilige Unterhaltung. Außerdem bietet er Einblicke in die Gaming-Szene, die sogar mich interessierten. Ich bin froh, diesem Buch eine Chance gegeben zu haben!

Eine Hollywood-Verfilmung ist außerdem geplant. Mal schauen, ob das in diesem Fall sehenswert oder enttäuschend wird.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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