Fernweh: “Valencia”
Sechs Tage alleine in Valencia
Valencia. Zutiefest verwirrt komme ich in der spanischen Stadt an, klar sortiert verlasse ich sie wieder. Nur wenige Wochen vor dieser Reise bin ich in einen neuen Job gestartet, voller Freude, Energie und Tatendrang. Die Ernüchterung kommt schnell. Innerhalb kürzester Zeit weiß ich: Dort kann ich nicht bleiben, auf gar keinen Fall. Nur: Was dann?
In meinem Kopf schlagen zu dieser Zeit die Gedanken Purzelbäume. Wo möchte ich mich bewerben? Wie stelle ich mir meine Zukunft überhaupt vor? Soll ich nochmals in eine andere Stadt?
Schnell wird mir klar: Ich muss für eine Woche raus, alleine sein, in Ruhe nachdenken und die ersten Bewerbungen schreiben. Aber was für eine Stadt passt gut für dieses Bedürfnisse? Wo gibt es Meer, schöne Cafés, Museen und ein buntes Angebot zur Zerstreuung?
Da fällt mir ein: Eine Freundin war kurze Zeit davor in Valencia, hatte mir Fotos geschickt, von Orangenbäumen, vom Meer, von einem strahlend blauen Himmel. Über Airbnb finde ich bei einem Herrn namens Alex ein schönes WG-Zimmer, ein Schnäppchen für 18 Euro die Nacht, von Frankfurt aus geht wenige Tage später ein Flug. Ich buche, packe meinen Koffer – und ziehe los.
Es war die perfekte Entscheidung, die sechs Tage alleine in Valencia haben mein Leben wieder in die richtige Bahn gelenkt – auch dank der Bekanntschaft eines illustren Herrn. Aber alles der Reihe nach.
Ankunft in Ruzafa
Sonnenstrahlen empfangen mich, als ich um 10 Uhr aus dem Flieger steige und ins Flughafengebäude laufe. Meine Unterkunft bei Alex ist in Ruzafa, dem Multi-Kulti-Viertel Valencias. Das Zentrum dort ist der Plaza Barón de Cortés, auf dem sich eine riesige Markthalle befindet. Rund herum gibt es unzählige Cafés und Restaurants, das Leben pulsiert.
Da ich an diesem Morgen noch zwei Stunden warten muss, bis Alex zu Hause ist, setze ich mich in eine kleine, gemütliche Bäckerei und frühstücke – Pan tostado con tomato, die regionale Spezialität Andalusiens. Dahinter steckt geröstetes Weißbrot mit Tomaten und Olivenöl. Gemeinsam mit einem Café con leche (Milchkaffee) und einem frisch gepressten Orangensaft bezahle ich dafür nur drei Euro. Das ist keine Ausnahme. Generell ist das Leben in Valencia günstig – mein mit Abstand sparsamster Städtetrip seit Langem.
Plaudern mit Einheimischen
Auf die WG mit Alex bin ich besonders gespannt. Bereits bei meinen Reisen in Palma und Barcelona hatte ich mir bewusst Städte ausgesucht, in denen ich mit Einheimischen zusammenleben und die Sprache sprechen kann. Ein besonderes Vergnügen. Meine WG-Bewohnern schleppten mich zu Picknicks am Strand, luden mich zu Partys ein – und plauderten viel mit mir. Zunächst hörte ich vor allem zu, nach einigen Tagen konnte ich dann selbst wieder viel erzählen.
Alles andere als Spanisch!
Nur: Dieses Mal ist alles anders. Als ich an diesem sonnigen Mittag mit meinem Gepäck in die wunderschön eingerichtete Vintage-Wohnung von Alex stolpere, er mir den Ablauf in der Wohnung erklärt, bemerke ich schnell: Mit ihm trinke ich eher Wodka als Sangria. Alex ist Russe und spricht nur Englisch mit mir. „Oh, and just one more thing“, meint er am Ende. „Don’t be surprised, my cousin is visiting with his wife, they only speak russian.”
Oh, okay, das mit dem Spanisch wird hier also nix.
Meer sehen.
Nachdem ich meine Koffer abgestellt habe, zieht es mich an diesem Nachmittag ans Meer. Etwa 40 Minuten dauert ein Spaziergang von meiner WG an den Strand. Das Wetter ist perfekt, die Sonne scheint, es hat 26 Grad. Dass es einer der wenigen schönen Tage für mich in Valencia sein wird, ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Zwar zeigt meine Wetter-App bereits Regenschauer für die nächsten Tage an, aber wie mir Alex erklärt, bedeute das nur, dass es punktuell mal kurz schüttet und danach gleich wieder warm sein wird.
Von wegen.
Die Zukunft ist jetzt: Ciudad de las Artes y las Ciencias
Noch bin ich optimistisch. Mein Weg zum Strand führt mich gleich zu Beginn an den imposantesten Sehenswürdigkeiten Valencias vorbei. Der Architekt Santiago Calatrava hat mit seinen insgesamt sieben futuristischen Werken auf einer Fläche von etwa 50 Fußballfeldern eine Stadt in der Stadt geschaffen: die Ciudad de las Artes y las Ciencias. Dort ist unter anderem ein riesiges Opernhaus, das Palau de les Arts Reina Sofía, das auf dem Wasser schwimmt und nachts wundervoll strahlt. Außerdem ist ein IMAX-Kino dort zu finden und das Wissenschaftsmuseum Museo de las Ciencias Principe Felipe.
Der Stadtstrand Valencias: Playa de la Malvarrosa
Um danach ans Meer zu kommen, laufe ich kreuz und quer durch die Straßen – die grobe Richtung habe ich im Blick, den Rest lasse ich passieren. Das ist für mich das Entspannenste am Alleinereisen. Einfach gehen, sich treiben lassen, ohne Absprachen und ohne zu wissen, was nun in der nächsten Straße wartet.
Dann bin ich da, am Playa de la Malvarrosa. Feiner Sandstrand, Palmen, eine Promenade mit Cafés und Restaurants. Ich muss an Barcelona denken, aber in Valencia ist an diesem frühen Abend viel weniger los. Ein perfekter Start – mit Burger und Bier.
Das Jardin Urbano in Valencia: eine grüne Oase
Mit meinem Laptop im Rucksack mache ich mich am nächsten Tag auf den Weg zu einem Café, wo ich Bewerbungen schreiben kann und entdecke eine grüne Oase inmitten des Asphalts: das Jardin Urbano. Die Kombination aus Café und Kneipe hat von morgens bis spät nachts offen und wird mein Stammlokal für die nächsten Tage – überall stehen Pflanzen, es gibt leckeres Essen und einen guten Rotwein.
Eine überraschende Begegnung!
Als ich mein Anschreiben für die erste Bewerbung fertig habe, möchte ich Pause machen und einen Spaziergang durch die Innenstadt machen – doch als ich nochmals kurz zur Toilette gehe, fängt mich ein Herr ab. Groß, blond, smart. Zunächst fängt er auf Englisch an mit mir zu sprechen, aber schnell wird uns klar, dass wir beide aus Deutschland kommen. Ob er mich auf ein Getränk einladen dürfe, fragt er dann. Ja, sage ich. Meine Erkundungstour verschiebe ich erstmal.
Die nächsten Stunden verfliegen im Nu. Er, ein abtrünniger Erbe einer Supermarkt-Dynastie aus dem Norden, ich, die sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls wie ein verlorener Stern im All fühlt. Smalltalk überspringen wir, es wird schnell existenziell – nachmittags um 15 Uhr mitten in Ruzafa, zwischen selbstgedrehten Kippen, Tee und Bier.
Genau in diesem Moment weiß ich, dass diese Reise das Beste war, was ich tun konnte, irgendeine metaphysische Macht hat mir einen Gesprächspartner geschickt, der mir helfen kann, meine Gedanken zu sortieren.
Wunderbare Stadtgärten: Jardines del Turia
Valencia ist perfekt, um stundenlang spazieren zu gehen. Viele Kilometer lege ich in den Jardines del Turia zurück: den Stadtgärten. Vor allem der lange Turia-Flusspark eignet sich gut, um vom Süden in den Norden zu kommen – ohne dem Autolärm ausgesetzt zu sein oder von hektischen Fussgängern angerempelt zu werden.
Voller Graffiti: das Barrio del Carmen
Auf diesem Weg gelange ich ins Barrio del Carmen. In dem ältesten Viertel Valencias ist alles verwinkelt, es gibt unzählige kleine Gassen, die alle eins gemeinsam haben: Graffitis. Außerdem reihen sich dort kleine Cafés und gemütliche Restaurants aneinander – ohne dass ein Touristenandrang die Stimmung kaputt macht.
Plaza de la Reina & Plaza de la Virgen
Ganz anders ist die Situation am Plaza de la Reina. Dort steht der Kirchtum El Migulete und um ihn herum pulsiert das Leben. Nur wenige Hundert Meter weiter ist außerdem der Plaza de la Virgen. Ein weiterer schmucker Platz. Aber mir ist das zu wuselig, überall sind Gruppen, die einem Reiseführer hinterherlaufen, ihre Kameras herausholen, wild knipsen. Ich verzichte darauf, mir diese Top-Sehenswürdigkeiten näher anzuschauen und entscheide mich für Fassaden-Watching.
Ein Prachtbau neben dem anderen: Avenida Marqués de Sotelo!
Besonders sehenswert ist der Stadtteil zwischen Bahnhof und Rathaus. Auf der Avenida Marqués de Sotelo reiht sich ein Prachtbau neben den nächsten. Unfassbar laut ist es nur, weil auf mehrspurigen Straßen unzählige Autos unterwegs sind.
Regen in Valencia
Es ist einer der letzten sonnigen Momente, die ich in Valencia habe. Als ich am nächsten Morgen aufwache, hat sich der blaue Himmel verabschiedet. Dunkelgraue Regenwolken dominieren. Ich packe meinen Laptop in den Rucksack, stopfe Zeitungen dazu – und laufe Richtung Jardin Urbano. Als ich dort ankomme, schüttet es schon so sehr, dass sich kleine Bäche auf der Straße bilden – und es regnet den ganzen Tag, die Nacht und auch am nächsten Tag weiter.
Als von Airbnb eine Email kommt, die Unterkünfte besser nicht mehr zu verlassen, die Nachrichten berichten, dass alle Schulen in Valencia nun geschlossen sind, wird mir klar, dass ich inmitten eines Unwetters gelandet bin. Die übrigen Tage verbringe ich in Cafés, lese viel und habe danach vier Bewerbungen fertig, die ich mit gutem Gefühl verschicke.
Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert
Als ich nach sechs Tagen meinen Koffer wieder packe, mich von dem verregneten Valencia verabschiede, weiß ich, dass ich irgendwann wiederkommen werde – und bin optimistisch, dass sich auch in meinem Alltag alles fügen wird.
Nur wenige Wochen später habe ich tatsächlich vier Einladungen, alle Bewerbungsschreiben in Valencia waren erfolgreich. Darunter ist auch ein Jackpot – ein Job, bei dem nun endlich alles passt.
Danke, Valencia!
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